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Normandie

Infanteristen mit Sturmgepäck und Fahrrädern. Normandie.
Juni 1944. Fotograf: Jesse. Bundesarchiv.Signatur: 101I-721-0384-32A.
Mit dem Fahrrad an die Front
28. Juli 1944
Auch die 84. Infanterie-Division bekam den
Treibstoffmangel zu spüren. Anstelle von Truppentransportern erhielten die
Männer Fahrräder in die Hand gedrückt. Jetzt hieß es, im Schutz der
Dunkelheit gut 200 Kilometer bis zum „Schlachtfeld“ zu radeln. Nach dieser
„Tour de France“ sollte das eigentliche Gemetzel beginnen.
Absurd.
Deutschland hatte schlichtweg nicht die
Kriegsmittel, um seine größenwahnsinnigen Ziele zu erreichen. Wie sagte ein
Offizier an der Russland-Front im ersten Winterkrieg 1941 so trocken: Wie
will Deutschland Russland erobern, wenn es noch nicht mal genug Nägel zum
Bau von Stellungen schicken kann?
Jeder Soldat trug wie üblich sein Sturmgepäck
mit Gewehr, Patronen, Handgranaten, Verpflegung. Auf den Gepäckträgern vorne
und hinten war zusätzlich Munition festgeschnallt. Es war klar, dass man nur
im äußersten Notfall zur Waffe griff, um Munition zu sparen. Als Infanterist
war man darauf trainiert, nur dann zu schießen, wenn man sein Objekt auch
wirklich treffen konnte. Jeder Schuss sollte sitzen. Unnötiges Verschießen
von Patronen galt als Selbstmord.
Der Treck startete in der
Nacht vom 28. Juli 1944 in der Gegend um Cany-Barville in Richtung Bolbec.
Die alte befestigte Landstraße schnitt durch große Getreidefelder und
Weiden. Es roch nach gereiftem Getreide und ausgedörrtem Stroh. Gelegentlich
kam man an einem einsamen Haus vorbei. Wenige kleine Dörfer, die den Männern
etwas Abwechslung fürs Auge boten.
Bolbec war die erste
Kleinstadt, durch die der Treck sich wälzte. Es war tief in der Nacht. Die
Franzosen lagen in ihren Betten, schliefen oder stellten sich tot. Niemand
wollte mit den Deutschen etwas zu tun haben. Schon gar nicht spät in der
Nacht. Es war den Einheimischen klar, warum die Deutschen ihre Stadt
anpeilten. Bolbec war überregional nur zu einem einzigen Zweck von Relevanz:
Von hier aus überquerten Reisende den großen Fluss Seine. Hier gab es Fähren
und Schiffe, um die mächtige Wassergrenze zu überqueren. Jenseits des
Flusses führten die alten Landstrassen in das Kernland der Normandie, in die
Region Calvados.
Neugierig studierte Clemens
die dunklen Fassaden von Bolbec. Alle Fensterläden waren verschlossen. Keine
Hand schob vorsichtig die Faltläden zur Seite. Kein Gesicht war zu sehen.
Die unschuldige Neugierde der
jungen Soldaten mischte sich in den allgemeinen Cocktail von
Nervenanspannung und zielgerichtetem Wandern eingepackt in die klassischen
Geräusche eines Trecks auf befestigter Straße: Klirren der Eisennägel an
Soldatenstiefel und der Hufeisen am Pferdefuß. Stimmen. Motorengeräusche.
Spätestens bei Tancarville
wich jegliches Philosophieren realer Praxis: Der Weg zur Fähre führte einen
steilen Weg hinab. Vorsichtig manövrierten die Soldaten die Pferdekarren mit
angezogener Handbremse hinunter. Um ein Rutschen der eisenbeschlagenen
Holzräder zu vermeiden, hielten mehrere Männer die Karren mit aller Kraft
fest. Fahrräder, Pferde, Wagen, Munition, Gepäck, Verpflegung für ein paar
Tage, alles wurde über den Fluss gesetzt.
Jetzt löste sich der Treck
auf, denn man wollte große Truppenansammlungen auf der Straße vermeiden.
Zeitversetzt radelten die Gruppen durch die Nacht. Ihnen gehörten die
Landstraßen, während die Lastwagen und Panzer die Routes Nationales wählten.
Tour de France
Von der Atlantikküste bei
Cany-Barville bis an die Front bei Sourdeval im Calvados lagen rund 200
Kilometer Wegstrecke. Anfangs radelte es sich leicht über flache
Landstrassen. Dann aber begann ein strapazierendes Hügelland, das die
Energie aus den Knochen saugte. Bergauf, bergab. Gepäck und Gewehr auf dem
Rücken, Munition vorne und hinten auf dem Fahrrad. Tagsüber schlief und
döste man unter den weit ausladenden Bäumen mit ihrem üppigen Laub. Das
dichte Blattwerk gab die ideale Tarnung gegen feindliche Luftaufklärer und
Tiefflieger. Die Wohnhäuser der Franzosen
waren tabu. Befehl von oben. Man versuchte, die Franzosen gewogen zu halten
und so weit wie möglich, aneinander vorbei zu leben. Allerdings durfte man
in den Scheunen und Ställen schlafen.
Die Radfahrer haushalteten
streng mit ihrer Marschverpflegung, aber irgendwann war der letzte Krümel
verzehrt. Wo blieb der Nachschub?! Hungrig bedienten sich die Radfahrer an
den Apfelbäumen entlang des Weges. Die kleinen Äpfel schmeckten herb und
gaben kurzfristig Energie. Aber es steckten nicht genug Kalorien in den
Früchten. Als sie völlig abgebrannt mit ihrer Verpflegung waren, suchten sie
ein Bauernhaus auf und fragten nach einem Stück Brot, Wurst oder Speck.
Die französischen Bauern waren
im Gegensatz zu den russischen sehr gut mit Nahrungsmitteln versorgt. Es
brach ihnen nicht das Herz, ein Stück vom Brot abzuschneiden. Man füllte die
Feldflasche mit Leitungswasser und zog weiter. Die Franzosen waren den
jungen Deutschen gut gesonnen. Aber was blieb ihnen anderes übrig: Lieber
ein Stück Brot rausrücken, als dass bei Verweigerung die ganze Kammer
geplündert wird.
Je näher die Männer dem
Frontgebiet kamen, umso genauer studierten sie die Landschaft: sie formte
sich zu einem üppigen Hügelland, grün, saftig, duftend. Ein kurzweiliger
Rhythmus aus Weideland, Getreidefelder und Wälder, linear strukturiert durch
Hecken und Baumreihen. Unlogisch schnörkelten sich die alten Landstraßen
durchs Gelände, rechts und links von Böschungen und Baumreihen gesäumt.
Manche Alleen waren derart verfilzt, dass man das Feld dahinter nicht
erkennen konnte. Gelegentlich radelten die Soldaten durch Blattwerktunnel.
Wer hatte diese Natur so wunderschön angelegt?
Es war eine alte Kulturlandschaft mit gedrungenen Steinhäusern. Sie standen
vereinzelt hie und da mit Scheune und Ackergeräten. Dann kleine Dörfer,
Kirche, Boulangerie.
Wie konnte es hier Krieg geben? Es war doch alles schön, intakt, in Ordnung.

Clemens mit seiner Gruppe auf dem Weg zur Front.
Anfang August 1944. Foto CP.

Soldaten der 84. ID erhalten vom französischen Bauern
Wasser. Die Aufnahme entstand später, als die Fronttasche in Richtung Orne
sich bewegte. Die 84. ID befand sich zu Fu´ß auf dem Weg zwischen Beauchaîne
und Gers. Der Wehrmachtfotograf Theobald begleitete die Division und
schoss einige Bilder. August
1944. Bundesarchiv. Bild 101I-731-0388-38.
Sourdeval
Am 3. August 1944 hieß es im
Tagebuch der 7. Armee:
„Die 84. I.D. hat kampflos den
Raum Sourdeval-Clément erreicht." *
Wetter: wolkenlos, warm.
Die Infanteristen waren sieben
Tage auf dem Fahrrad unterwegs gewesen. Vielleicht waren es auch sechs Tage.
Das macht zwischen 30-40 Kilometer pro Nacht mit Gepäck, schlafen unter
Bäumen oder in Scheunen, magerer Kost und Wasser aus der Feldflasche.
Die Mannschaftsführer
erkundigten sich, wie es weitergehen sollte. Die Anweisung war knapp:
Fahrräder am Ortsrand abstellen und zu Fuß weiter an die Front. Was
passierte mit den Fahrrädern? Holte sie jemand ab? Wurden sie weiter
verwendet? Keine Ahnung.
Sourdeval war ein Dorf von über 2000
Einwohnern. Die Amerikaner würden dazu junction sagen, denn das Dorf wurde
von zwei großen Landstraßen durchschnitten. Die eine führte in
Nord-Süd-Richtung nach Vire und Mortain. Die andere in Ost-West-Richtung
nach Avranches bzw. nach Flers. Der Ortskern bestand also aus einer
Kreuzung, in deren Quadranten die wichtigsten Bauwerke des Ortes lagen:
Kirche, Hotel, Rathaus und Geschäfte. Wie überall in der Gegend waren es
stämmige Steinhäuser aus dicken Quadern oder Feldsteinen gebaut. Die
Fassaden blieben unverputzt und zeigten das natürliche Grau der Steine.
Der Krieg war noch nicht in Sourdeval angekommen. Nur
seine Vorboten sah man zu Hauf auf den Straßen: deutsche Soldaten auf
Fahrrädern, in Kübelwagen, auf Motorrädern und zu Fuß. An Kreuzungen waren
Pfähle mit unzähligen Hinweisschildern für die Deutschen errichtet.
Sourdeval glich einem großen Bahnhof, in dem die Einheiten rangiert wurden.
Am 5. August gab Hausser folgenden Befehl an
die 84. ID:
"Für 1. Phase Lüttich werden die
in Abschnitt St. Pois - le Mesnil Gilbert eingesetzten Teile 84. I.D. der
116. Pz.Div. unterstellt. Dauer der Unterstellung ist zwischen den Gen.Kdos.
zu regeln." **
Mit „Lüttich“ war das Unternehmen Lüttich
gemeint, das den Durchbruch durch die amerikanische Front bis nach Avranches
am Meer vorsah. Dafür standen jetzt viele Panzer-Divisionen im Stoßkeil in
Bereitschaft. So auch die 116. Panzer-Division.
Am nächsten Tag, dem 6. August, hieß es im
Tagebuch von AOK7:
"Ablösen der 116. Pz. Div. durch 84. I.D. am linken
Flügel soweit es die Kampflage gestattet." ***
Der Befehl ging telefonisch an
General Elfeldt vom LXXXIV. Armeekorps, der die genauen Standorte für die
84. ID definierte.
General Menny von der 84. ID verteilte die Koordinaten
an die Kommandeure der Regimenter und Bataillone.
Auf diese Weise erhielt
Clemens den Befehl, die Marschroute für sein Bataillon von Sourdeval bis an
die Front auszuschildern. So würden die Kompanien zu Fuß den Weg bis zu
ihrem Einsatzort finden.
Bild 1: Soldaten der 84. ID.

Bild 2: Deutschsprachige Wegweiser für
die Soldaten.
Bild 3: General
Menny von der 84. ID.

Bild 4: Stabsoffiziere der 84. ID.
Bild 1:
Soldaten der 84. ID bei ihrem Rückzug durch Gers
in die Stellung Falaise-Flers-Domfront um den 12. August 1944.
Fotograf: Theobald. Sommer 1944. Bundesarchiv. Signatur
101I-731-0388-35.
Bild 2:
Vor
militärinternen Wegweisern bei Bourgachard / Rouen in Nordfrankreich.
Dahinter französisches Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg.
Ende Juli/Anfang September 1944. Fotograf: Kurth. Bundesarchiv. Bild
101I-301-1951-11
Bild 3:
General Menny von der 84. ID bei Besprechung in einem Bus.
Fotograf: Koll. Sommer 1944. Bundesarchiv. Signatur: 101I-722-0408-11A.
Bild 4:
Zwei Stabsoffiziere der 84. ID geben ihre Informationen an andere Offiziere
weiter.
Fotograf: Koll. Sommer 1944. Bundesarchiv. Signatur:
101I-722-0408-17A.
* AOK 7.
Ia-Tagesmeldungen vom 3.8.1944. S. 3. Bundesarchiv Freiburg. Signatur: RH
20-7/147.
** 4. August 1944. AOK 7. Bundesarchiv Freiburg. Signatur:
RH 20-7 / 147.
*** Absichten für den 6.8.44. AOK7 Vorg.Gef.Stand. Ia Nr. 560/44.
Bundesarchiv Freiburg. Signatur: RH 20-7 / 147.
Markieren der Marschroute
Hauptmann Hartwig
schob die Militärkarte rüber zu Clemens.
„Sie erhalten ein
Motorrad mit Fahrer, Dolmetscher und Beiwagen. Sie markieren für uns auf
Nebenstraßen den Weg zur Front. Wir folgen Ihnen aufgelockert.“
Auch hier wieder die
Taktik, Truppenansammlungen zu meiden und die großen Landstraßen für die
Nachschubfahrzeuge frei zu halten.
Clemens prüfte auf der
Militärkarte, auf der jedes Haus, jeder Feldweg, jede Höhe und Tiefe
eingezeichnet war, den besten Weg nach St. Pois. Er zeichnete auf der
Landkarte eine geeignete Route ein. Für die Kompanieführer kopierte er die
Marschroute auf einen Zettel, so dass sie sich in Zweifelsfällen selbst
orientieren konnten. Jetzt blieb die Frage, wie er am besten und vor allem
eindeutig den Weg markieren könnte. Farbe gab es nicht. Er wandte sich an
den Schreiber des Bataillonstabes:
„Können Sie mir einen Stapel
Papier geben?“
„Selbstverständlich.“
Probeweise faltete
er ein Blatt Papier zu einem stabilen Pfeil. Das sah gut aus. Wie jetzt
diesen Streifen an Bäumen befestigen? Er blickte sich um und sofort blieb
sein Blick auf einer Heftmaschine hängen.
„Können Sie mir
bitte Ihre Heftmaschine borgen, damit ich die Papierpfeile an die Bäume
heften kann?“
„Das ist mein
einziger Hefter, den kann ich nicht rausgeben!“ Der Schreibtischsoldat
versteifte sich auf seine bürokratische Autorität.
Kurzer Hand
schnappte sich Clemens seinen Hefter und blickte ihn scharf an:
„Wenn wir den Krieg
verlieren, dann interessiert sich keiner für Ihren Hefter! Wenn wir den
Krieg gewinnen, dann nur wegen Ihres Hefters! Und jetzt bitte noch drei
Päckchen Heftklammern.“
Clemens verließ das
Büro gut bepackt und suchte seinen Fahrer. Er wartete draußen auf einer
militärgrünen Harley-Davidson. Es war ein amerikanisches Motorrad. Ganz
offensichtlich ein Beutefahrzeug.
Mit Landkarte,
Kompass, Papier und Heftmaschine ausgerüstet bestieg Clemens den Beiwagen
des Motorrades. Der Fahrer zündete die Maschine und der Dolmetscher
rutschte auf den Soziussitz. Los ging die Fahrt. An Gabelungen hielten sie
an, um die Markierung an einem Baum oder Strommast zu heften.
Kilometer um
Kilometer fuhren sie die Route ab und hinterließen weiße Papierpfeile mit
der Aufschrift „Hartwig“, dem Namen des Bataillonkommandeurs. Die Franzosen
hätten es nicht gewagt, die Zettel abzureißen. Wäre einer dabei ertappt
worden, hätten die Deutschen ihn wegen Sabotage erschossen. Aber die
Franzosen kümmerten sich nicht um die Deutschen. Sie verhielten sich
neutral.
Die Landschaft wurde zunehmend steiler und enger. Die alten Wege
schraubten sich auf einsame Anhöhen, die den Blick über Täler und Berge
freigaben. Eine göttliche Natur, sommerlich, einsame Weiden, Baumreihen,
Hage. Gelegentlich ein einsamer Bauernhof aus Feldsteinen errichtet. Selten
ein Weiler mit einer handvoll Häuser. Kaum Menschen. Dafür mehr Kühe auf den
Wiesen, mit neugierigen Augen die Motorradfahrer begrüßend. Die Luft warm
würzig von Kräutern und Sonne. Welch Stille.
Gemütlich fuhren sie über einen
Waldweg, als plötzlich ein kleiner Gegenstand aus dem Motor im hohen Bogen
ins Gras flog. Der Motor hüstelte dahin und versagte.
„Die Zündkerze ist
weg,“ ärgerte sich der Fahrer.
„Da vorne muss sie
liegen, ich habe sie gerade fortfliegen sehen.“
Sie suchten das Gras
ab.
„Ich hab sie“, rief
der Fahrer und schraubte das heiße Juwel in den Motor ein. Sie schafften es
gerade bis zum nächsten Dorf, als die Kerze wieder Abschied nahm.
„Das Gewinde ist
kaputt“, kommentierte der Fahrer und hob die Zündkerze auf. „Ich gehe zum
Dorfschmied und sehe, was sich machen lässt.“
Zusammen mit dem
Dolmetscher schob der Fahrer das Motorrad in die Werkstatt, während Clemens
auf der Hauptstraße wartete. Da tauchten plötzlich zwei uniformierte
Motorradfahrer auf. Sie hielten vor ihm an. Ihre Abzeichen wiesen sie als
Polizisten der Armee aus, den so genannten Feldgendarmen.
„Haben Sie Probleme?“
Clemens erklärte seine
Situation.
„In den Dörfern liegen
Partisanen. Seien Sie vorsichtig.“
Das war gut zu wissen.
Um nicht länger als Zielscheibe auf der Straße zu warten, begab sich Clemens
in den Dorfgasthof. Einige wenige junge Männer und der Wirt blickten ihn
schweigend an. Er setzte sich mit dem Rücken an die Wand, um den Raum zu
überschauen. Leichte Spannung verbreitete sich. Der Wirt trat vor und
erkundigte sich nach seinem Wunsch. Der Wirt verwickelte ihn in ein
Gespräch. Gab es Neuigkeiten? „Es kommen gleich mehrere Einheiten durch das
Dorf“, Clemens streute gezielt Informationen aus.
„Oh là là.“
Nervös nippten die
jungen Männer an ihrem Aperitif.
Bald verabschiedeten
sie sich.
„Mal sehen, ob der
Fahrer das Motorrad repariert hat.“ Clemens verließ das Bistrot. In der Dorfschmiede beobachtete
er,
wie der tüchtige Fahrer an der Esse stand und zwei Flacheisen bearbeitete.
Er bog das Metall und legte ein Eisen mit Loch in der Mitte über die
ausgeleierte Zündkerze am Motor. Unterhalb des Zylinders hielt er ein
zweites Eisen fest, das er mit Bolzen mit dem oberen verband. Unter der
Hitze des Metalls hieb er die Bolzen zu festen Klammern. Diese Zündkerze
würde auf ewig festsitzen.
„Ist ja genial
gelöst!“ Clemens, der Technikfreak, war begeistert.
„Übrigens“, fuhr er
fort. „Es gibt Partisanen. Wir müssen mit Überfällen rechnen.“
Mit der Waffe
in der Hand fuhren sie weiter. Es war ein
sehr langer Weg bis zum Zielort. Verpflegung war knapp. An den Apfelbäumen
hingen reife kleine Äpfel, die bitteren Cidreäpfel; sie schmeckten gut, aber
brachten nicht viel Energie in den Körper.
Je näher sie
dem Frontgebiet kamen, desto öfter wurden sie von kleinen Störfeuern
belästigt. Feindliche Fallschirmjäger waren bereits hinter die deutsche
Linie gelandet und beschossen aus größerer Entfernung die Truppen. Aber kein
vernünftiger Soldat reagierte auf diese Mätzchen, weil die Entscheidung
vorne an der Front gestaltet wurde und nicht im Abseits. Also weiter in die
Normandie hinein.
Ob die
Störfeuer von alliierten Fallschirmjägern stammten oder von französischen
Partisanen war nicht zu unterscheiden. Für beide Gegner war die Fronttasche
gefährlich auf Grund der Dichte des deutschen Militärs und der begrenzten
Fluchtwege.

Harley Davidson WLA mit Seitenwagen
der amerikanischen Armee.
http://www.mobhome.de/vehicles/secret_weapons.htm
Weiter oben:
Feldgendarme der Fallschirmjäger auf Krad. 1944. Fotograf: Zimmermann.
Bundesarchiv. Signatur 101I-585-2185-23.
EINIGE KAPITEL SPÄTER
Vorbereitung von "Unternehmen Lüttich" aus
der Sicht der Armeeführung
3. - 6. August
General Hausser erhielt täglich die Koordinaten
der Truppenbewegung. Am 4. August notierte Hausser:
„Für die Durchführung der
Operation kommt es der Armee darauf an, mit den Angriffskräften nach
Bereitstellung scharf zusammengefasst und links rückwärts gestaffelt in
allgemeiner Richtung Avranches südl. des Sée-Abschnittes anzugreifen. Für
die erfolgreiche Durchführung des Angriffes wird es von ausschlaggebender
Bedeutung sein, die feindl. Luftüberlegenheit durch Einsatz aller zur
Verfügung stehenden Jagdfliegerkräfte herabzumindern. Die bisherigen Kämpfe
haben gezeigt, dass die Erfolge des Gegners fast ausschliesslich in seiner
absoluten Luftüberlegenheit begründet waren.
Es muss damit gerechnet werden, dass der
deutsche Panzerangriff starke Kräfte des Gegners auf sich ziehen wird, da es
dem Feind darauf ankommen muss, seine rückwärtigen Verbindungen zu sichern.
Die Angriffskräfte werden daher im Verlaufe der Operation und vor allem nach
erfolgreicher Durchführung sowohl nach Norden als auch insbesondere nach
Süden zu kämpfen haben. Hierbei kann eine schnelle Abnutzung der Verbände
eintreten. Nachführung weiterer Kräfte zur Sicherung des gewonnenen Raumes
sind daher unbedingt notwendig. 2-3 Divisionen erscheinen für diese Aufgabe
erforderlich. Diese Forderung ist umsomehr berechtigt, wenn nach
erfolgreicher Schliessung der Front nach Norden mit den schnellen Verbänden
eine Operation zur Freikämpfung der Bretagne durchgeführt werden soll.
Es kommt entscheidend darauf an, dass der
Beginn der Operation zum frühestmöglichen Termin erfolgt und damit die
eigene Initiative ergriffen wird. Jedes Abwarten lässt die Abhängigkeit vom
Gegner andauern. Dies könnte aber die Durchführung der Gesamtoperation
gefährden. Die Armee hat sich daher entschlossen, sofort zum Angriff
anzutreten, wenn das XXXXVII. Pz.Korps und 9. Pz.Div. mit fechtenden Teilen
versammelt sind." *
* Beurteilung
der Lage am 4.8.1944 von AOK 7 vorg. Gef. Std., Ia Nr. 518/44 geh. Abschrift
Fernschreiben. Bundesarchiv. Signatur RH 20-7 / 147.
Blick auf die 84. ID
Die Kompanien
der 84. ID brachen in Sourdeval auf und folgten der Schnitzeljagd. Im Gänsemarsch
trotteten sie auf den einsamen Landwegen. Jetzt, wo die Fahrräder, abgegeben
waren, schleppten sie das gesamte Sturmgepäck einschließlich der
Munitionskästen auf dem Rücken. Der Sommer war heiß, aber laut
Dienstvorschrift mussten die Soldaten ihre Uniformjacken über den
langärmligen Hemden anlassen. Unterhosen und Socken waren schon lange nicht
mehr gewaschen und eine heiße Dusche hat keiner von ihnen gesehen. Insgesamt
also ein schwitzender, müffelnder, schlecht gelaunter Männerverein.
Dafür
blühte die Natur um sie herum umso göttlicher auf: Üppiges Strauchwerk und
saftige Weiden mit braun gescheckten Kühen, Landstille mit Vogelgesang,
unterhaltsame Panoramablicke, gesunde Luft, gelegentlich ein Bauer mit
Pferdekarren unterwegs, dann ein Dörfchen mit neugierigen Blicken der
Einheimischen. Hier war’s ja fast wie Zuhause.
Die Russlandkämpfer unter ihnen erkannten die
völlig neue Kampfsituation: Die Landschaft war kurzmaschig zergliedert
durch Täler und Höhen, durch hohe Hecken und Alleen. Hier konnte man
unmöglich einen Panzerkrieg wie in der Steppe von Russland durchführen. Selbst
für einen reinen Infanteriekrieg ist die Landschaft tückisch: Es gibt für
das Auge keinen Überblick. Wie will man die Orientierung behalten?
Jeder
ging seinen Gedanken nach.
In der Ferne gelegentlich Detonationen und
Geknalle.
5. August 1944
Am Tag vor dem Angriff – es war der 5. August –
bauten die Infanteristen der 84. ID hinter der aktuellen Front
Auffangstellungen. Es waren Schützengräben und Löcher in der zweiten und
dritten Reihe hinter der Front. Falls der Feind die Front überrollen würde,
würde er von den Männern in den Auffangstellungen aufgehalten. Den
erfahrenen Russlandkämpfern war diese Technik bekannt. Sie sprach dafür,
dass man mit starkem Feinddruck und Durchbruch rechnete.
Clemens versuchte sich geistig auf ein Gefecht
einzustellen. Aber wie würde der Krieg gegen die Amerikaner aussehen? Gemäß
seiner Erfahrung aus Russland stellte er sich vor, dass der Gegner ein
Infanterieheer gegen die Deutschen werfen würde. Für so eine Situation
fühlte er sich einigermaßen vorbereitet.
Da sah er schwer bewaffnete Soldaten durchs
Gelände schleichen. Sie sahen schrecklich aus: abgekämpft, aufgerieben,
kaputt, demoralisiert. Aufgrund ihrer Uniform identifizierte er sie als
Fallschirmspringer. Es waren Elitesoldaten, denen der Ruf, ganz besonders
gute Kämpfer zu sein, vorauseilte. *
(Genaue Angaben siehe am Ende der
Seite)
„Was war los?“, fragte Clemens schockiert.
Der Mann winkte frustriert ab. „Du sitzt im
Schützenloch, gut getarnt, und es regnet Bomben runter. Meter um Meter Land
fliegt in die Luft. Da hilft keine Deckung. Es ist Zufall, wenn du
überlebst.“
Von der Eliteeinheit war nicht mehr viel übrig
geblieben, obwohl noch kein amerikanischer oder englischer Infanterist die
Gegend überhaupt betreten hatte.
„Das war die Elite der deutschen Infanterie!“,
dachte Clemens. „Wie wird es uns ergehen?!“
Er realisierte, dass der Krieg aus der Luft gekämpft wurde. Es herrschten
ganz andere Bedingungen als in Russland.
Seine Hoffnung, als Infanterist die herannahende Kriegssituation meistern zu
können, war zerbrochen.

Fallschirm-Jäger auf Landstraße. Normandie. Juni-Juli 1944. Fotograf:
Slickers. Bundesarchiv. Bild 101I-586-2225-16
EINIGE KAPITEL SPÄTER
Die Amerikaner blasen zum Angriff
Mit seiner übermächtigen Luftwaffe verhagelten
die Amerikaner am 7. und 8. August den deutschen Vorstoß. Als sich bei den
deutschen Panzerfahrern und Infanteristen nicht mehr viel regte,
attackierten sie zu Land.
Am Abend des 8. August gab Feldmarschall von
Kluge den Befehl zum Rückzug. „Trotzdem sind alle Vorbereitungen zu
treffen, um den Angriff fortsetzen zu können. Die Truppe muß den Willen zum
Angriff unbedingt behalten."
Wie hoch waren die Verluste der Deutschen?
- 11 000 Mann tot, verletzt oder
vermisst.
- Eine irre Menge an Panzern und
Fahrzeugen verloren.
Hatte in Russland noch das deutsche
Maschinengewehr das Schlachtfeld beherrscht, so war es jetzt die Luftwaffe
der Alliierten. Wie eine Mähmaschine raffte sie tausende von Soldaten dahin.
Die Deutschen hatten keine Chancen.
Die Grenze zwischen Feind und Freund war
unscharf und ständig in Bewegung. Es gab keinen fest gezogenen Graben wie in
Russland bei Rshew. Vielmehr ähnelte die perforierte Front den Oleniner
Verhältnissen.
Nun war die normannische Landschaft ein Kulturland mit
Straßen, Hecken, Alleen, Dämmen und Hohlwegen. Große Panzerschlachten wie in
der russischen Steppe konnten hier nicht stattfinden. Die Panzer mussten
sich auf den Landstraßen bewegen und ihre Insassen konnten das Gelände wegen
der hohen Hecken nicht überschauen. Insofern hatten die Deutschen den
Vorteil, aus guter Buschtarnung das Geschehen auf den Straßen zu beobachten.
Fokus auf die Gruppe von Clemens. Sie bestand
aus fünf Männern.
Die Soldaten schlichen im Schutz der Hecken entlang der
Wege und Äcker. Wann würden die ersten amerikanischen Panzer anrollen?
Mit
gespitzten Ohren lauschten sie auf Motorengeräusche. Ihre Nerven waren zum
Zerreißen gespannt.
In Ermangelung von Pak-Geschützen hatten sie sich eine
leichte FLAK besorgt, um anrückende Panzer abzuschießen. Die
Flugabwehrkanone war enorm treffsicher und knallhart im Durchschlagen von
der Panzerhaut.
Entscheidend jedoch war die Frage, wer zuerst zum Schuss
kam: Die Amerikaner oder die Deutschen. Denn ein Panzer würde mit seinen
Granaten und aufmontierten Maschinengewehren eine Horde Infanteristen im Nu
zerlegen.
Aufmerksam und nervös beobachteten die Männer
die Landschaft nach feindlichen Regungen. Jeder schlich in seinem Gebiet
umher, um möglichst früh Signale zu erkennen. Noch trällerten die Vögel
unwissend durch die Landschaft. Mit hoch gestellten Ohren schlichen die fünf
Männer hinter den Hecken entlang. Wann würde der Feind auftauchen? Die
Spannung saß ihnen in den Knochen.
„Dahinten kommen Panzer!“
Jetzt war es so weit. Gebannt spähten die
Männer in die gedeutete Richtung.
Gut 500 Meter entfernt ragten die Köpfe
von sechs Panzern über die Böschung eines Hohlweges. Langsam rollte die
Kolonne vorwärts und kam zum Stillstand. Offenbar prüften auch die Soldaten
die Landschaft und berieten, ob sie sich weiter vortasten sollten. Auch für
die Amerikaner war der Durchbruch durch die deutsche Front hochgefährlich.
Schnell rollten die Deutschen das FLAK-Geschütz
vor und richteten es aus. Munition rein und konzentriertes Anpeilen des
ersten Panzers. Zünden und schon glitt die Granate aus dem Rohr. Nachladen
und Anvisieren des letzten Panzers.
Wumm. Der erste Panzer war getroffen.
Wumm. Der letzte Panzer war zerschossen.
Anfang und Ende der Kolonne im Hohlweg waren
blockiert.
Keiner konnte ausscheren und flüchten.
Die mittleren vier Panzer
blieben den Deutschen ausgeliefert.
Mit Geduld und angespannten Nerven luden die
Männer neue Munition und schossen Panzer für Panzer in der Kette ab.
Sechs Kolosse lagen manövrierunfähig im Hohlweg.
Sofort zogen die Deutschen ihr Geschütz zurück, denn der
Feind würde sich rächen.
Bald regnete die gegnerische Artillerie Granaten um
sie herab.
Das war die erste Feindberührung, die Clemens
mit seinem Team erlebte.

Infanteristen hinter einer Hecke. Normandie. Sommer 1944. Fotograf:
Thönessen. Bundesarchiv. Signatur:
101I-584-2152-24.
EINIGE KAPITEL SPÄTER
Anschluss an die Kompanie verpasst
10. August
Seit zwei Tagen zogen sich die Deutschen langsam zurück.
Die 84. ID stand bei Perriers en Beauficel - Beauficel – Vengeons.
Es war ein steiles Hügelland, das schwer einzunehmen war. Von der Höhe bei
la Beaugiardière blickte man weit ins Flachland bis Avranches. In der
Brisanz dieser Tage wurden die Einheiten rasend schnell bewegt und man
konnte nicht zwischen Vordringen und Rückzug unterscheiden. Die
Schnelligkeit, mit der die Einheiten verschoben wurden, brachte viele
Soldaten in Verwirrung, denn sie verpassten den Anschluss an ihre Truppe.
In der Hektik dieser Tage war auch Clemens dieses Missgeschick widerfahren:
Als Ordonnanzoffizier des Bataillonkommandeurs flitzte er zu Fuß zwischen
den drei Kompanien und dem Bataillonsstab hin und her, um die Kommunikation
aufrecht zu erhalten. Normalerweise hätte man Stab per Sprechfunkgerät
kommuniziert. Da aber die Sendefrequenz von den Gegnern geortet wurde und
die Nachrichtenfunker bald darauf mit Artilleriefeuer begrüßt wurden, wagten
die Funker nicht mehr, die Geräte zu benutzen. Mit dem Argument, das Gerät
sei kaputt, klinkten sie sich aus dem Nachrichtennetz aus.
Zusammen mit einem
Melder befand sich Clemens auf dem Rückweg zum Stab. Sie marschierten durch
einen Hohlweg, an dessen Ende sie die Häuser eines Dorfes erkannten. Frauen
und Kinder standen gemütlich auf den Straßen und unterhielten sich. Andere
wiederum bewegten sich arglos wie in zivilem Leben. Clemens schubste seinen
Kollegen an.
„Die tun ja so, als ob
der Krieg schon vorbei wäre.“
Dann fiel der
Groschen! Sie befanden sich in von Amerikanern besetztem Gebiet!
Wo waren die
Amerikaner?
Wie kommen sie hier
raus?
Instinktiv trieb es
Clemens die Böschung hoch, um einen vorsichtigen Blick über den Wall auf die
große Weide zu werfen.
Schock!!!
Dort campierten in
aller Ruhe hunderte von amerikanischen Infanteristen. Wohl genährte, runde
Gesichter. Gute Stimmung. Sie waren entspannt, der Krieg war ihnen nicht ins
Gesicht gemeißelt. Hielten die hier ein Picknick ab?

Auf dem Foto sind englische Infanteristen zu sehen. Foto vom
17. Juli 1944 Nähe Caen.
Col. Rice-Evans, Royal Welch Fusiliers, briefe his officers before the
attack against Evrécy. IWM B-7579. http://www.memorial-montormel.org/?id=60
Ungläubig starrte Clemens auf die Meute als plötzlich ein Amerikaner
brüllte:
„Hands up!!!“
Ohne nachzudenken, im
eintrainierten Reflex, warf sich Clemens flach an den Hang. Er riss die
Maschinenpistole hoch und feuerte sein gesamtes Magazin blind über den
Acker.
Runter und weg. Sein
Gefreiter raste hinter ihm her, kaum dass er die Situation erfasst hatte.
Sie stürmten zurück und rechts ab über eine Weide.
Schneller Blick
zurück:
Eine Gruppe von
flinken Amerikanern sprintete hinter ihnen her.
Noch hatten die
Deutschen Vorsprung und waren außerhalb der Schussweite. Sie rannten so
schnell und gut die Kondition es zuließ. Das Feld endete an dem typisch
normannischen Knick. Sie die Böschung hoch und wieder runter.
Clemens warf sich an
den Hang, Gesicht den Amerikanern zugewandt. Der Melder blickte Clemens
fragend an. Sein Atem keuchte erhitzt.
„Was soll das?!“
„Wir bleiben hier und
warten sie ab.“
„Sie sind doch viel
mehr als wir!“
Sie beide rangen um
Atem und spürten die Lungenflügeln stechen.
Plötzlich richtete
sich Clemens hoch auf, um seine Position den Amerikanern genau anzuzeigen.
Wie ein Erdmännchen stand er aufrecht auf der Böschung. Der Melder bekam
fast einen Herzinfarkt.
„Geben Sie mir Ihr
Gewehr“, befahl ihm Clemens.
Zitternd rückte der Melder sein Gewehr raus.
Clemens entsicherte das Schloss und legte Patronen zum Nachladen bereit.
Nochmals zeigte er sich auf dem Damm, damit die Amerikaner in ihrem Kurs
motiviert blieben. Tatsächlich legten sie Tempo zu.
Als bald legte sich
Clemens flach hinter die Böschung und brachte das Gewehr in Anschlag.
Abwarten, ruhiger
Atmen, Geduld.
Eine Person anzielen,
Kimme und Korn in eine Linie bringen, Schussweite abwarten.
Peng.
Nachladen. Neuer
Schuss.
Mehrmals wiederholte
er diesen Ablauf. Ein Soldat nach dem anderen warf sich zu Boden. Hatte er
sie getroffen oder gingen sie in Deckung?
Clemens und der Melder
beobachteten mit angehaltenem Atem ihre Verfolger. Sie gaben auf und zogen
sich zurück.
„Lass uns abhauen!“
Der junge Melder war
kalkbleich im Gesicht.
„Das hab ich von den
Russen gelernt“, meinte Clemens trocken.
Vorsichtig entzogen sie sich der
Sichtweite und verschwanden im Wald.
Clemens war verblüfft,
dass die amerikanischen Soldaten ungeschützt auf der Wiese versammelt lagen.
Warum hatten die Amerikaner nur einen einzigen Posten an dieser Seite
aufgestellt?
Wieso benahmen sich die Infanteristen wie auf einem Betriebsausflug, bei dem
sie gerade ihr Picknick verspeist hatten?
In Russland hatte
Clemens eine vergleichbare Situation nicht erlebt. Weder Russen noch
Deutsche wagten große Ansammlungen ohne üppige Absicherung. Ein sichtbarer
Haufen von Soldaten war immer ein gefundenes Fressen für die Granatwerfer.
Hier wäre auf einen Streich eine gesamte Einheit dahingerafft worden.
Warum waren die
amerikanischen Infanteristen derart sorglos?!
Rechneten sie nicht
mit Angriffen?
Und dann der Befehl: „Hands
up!“
In Russland hatte nie
einer mit „Hände hoch“ oder „ruki wjersch“ den Gegner in die Gefangenschaft eingeladen.
Auf die Idee, seine
Arme hoch zu reißen und sich gefangen nehmen zu lassen, war er gar nicht
gekommen. Dieses Verhaltensmuster war überhaupt nicht programmiert. Aus
einem antrainierten Reflex heraus hatte Clemens anders gehandelt.
Warum dieser Reflex?
Er war an der russischen Front geboren worden, denn die deutschen Soldaten
hatten furchtbare Angst vor russischer Gefangenschaft. Sie rechneten mit
Vergeltung, Folter, Quälerei. Ganz zu recht, wie sich offenbarte.
Aus heutiger Distanz betrachtet, hätte Clemens den Krieg für sich beenden
können, wenn er sich den Amerikanern kampflos ergeben hätte.
Atemlos suchten
Clemens und sein Melder ihren Weg zum Bataillon. Auf Umwegen fanden sie den
alten Standort, der Stab war jedoch weg. Kein Mensch ihrer Einheit war
aufzutreiben.
„Was ist hier los? Ist
hier Rückzug angesagt? Wo ist unsere Truppe?“
Sie durchsuchten die
Gegend und trafen ein bekanntes Gesicht, einen Fallschirmjäger aus der
zerschossenen Einheit.
Glücklicherweise
kannte er den neuen Standort.
Mit Karte und Kompass
weiter.
„Da sind Sie ja
endlich“, begrüßte Hauptmann Hartwig die Männer erfreut. „Ich hatte Sie
beide bereits als vermisst eingetragen. Willkommen an der Front!“
Alles makaber.
Aber was waren ihre
Alternativen?
Ausgehungert suchten
sie nach Essbarem. Die Nachschubfahrzeuge waren in einer Krise als erste
verschwunden. „Sicherstellen des Nachschubs“ war das Argument.
Clemens entdeckte
einen einsamen Bauernhof. Vorsichtig trat er ein. Der Bauer saß in seiner
Stube und blickte ihn freundlich an.
„Bonjour.“
Auf einem Schrank
stand ein Teller mit einer großen Kugel Butter.
Clemens deutete auf
den Teller.
Der Bauer nickte
freundlich.
Mit der Handkante
trennte er einen Streifen Butter ab und bedankte sich bei dem Bauern.
Draußen genoss er den Fund; langsam zerschmolz das Fett auf der Zunge.

Hohlweg bei Beauficel. Foto GP. 2012.
* Sie gehörten zum II. Fallschirm-Korps unter
Generalleutnant Eugen Meindl.
Entweder war es das II.
Bataillon des Fallschirmjäger-Regiments 2 oder die 3.
Fallschirmjäger-Division. Alles Freiwillige, die sehr gut trainiert und
ausgerüstet waren. Ab dem
12. Juni 1944 waren folgende Einheiten dem II. Fallschirm-Korps unterstellt:
17. SS-Freiw. Pz.Gren.Div., 275. Infanterie-Division, 352.
Infanterie-Division, 3. Fallschirmjäger-Division. Im August 1944 im Kessel
von Falaise vernichtet. Später neu aufgestellt.
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