Russland
Einsatz im Lutschessa-Tal

General Röhrichts
Divisionsgefechtsstand der 95. ID im Wald in Kamenskoje südlich von Rshew
(westlich Zubzoff).
Quelle: Knoblauch: Kampf und Untergang der 95. Infanterie-Division. 2008.
Im Divisionsgefechtsstand der 95.
Infanterie-Division
Erster Dezember 1942,
Kamenskoje.
Wetter: sehr windig,
Schneeverwehungen.
General Röhricht saß in seinem
Erdbunker, der wie ein schneebedecktes Hünengrab aussah. Innen war es mollig
warm. Der Ofen bollerte. Ein Generator fabrizierte Strom und es gab
elektrisches Licht. Die Pioniere hatten ihm ein brauchbares Zuhause
gezimmert.
Per Funk stand Röhricht mit
dem Armeekorps in Verbindung.
General Model von der 9. Armee rief ihn an:
„Ich muss mir von Ihnen ein Bataillon ausleihen. Wir haben einen
Frontdurchbruch.“
„Unmöglich!“ wehrte Röhricht
schockiert ab. „Ich habe die Männer gerade aus der Front herausgezogen. Sie
sind kaputt. Und ich brauche selbst Ersatz, wenn der Russe meine Front
zerschlägt. Ich kann niemanden hergeben!"
„Ich weiß“, meinte Model.
„Aber Sie kriegen Ihre Männer garantiert zurück.“
Zähneknirschend rückte
Röhricht das III. Bataillon vom 278. Regiment raus. Ihm würden genau drei
Kompanien fehlen! Er konnte sich das überhaupt nicht leisten!
Konsequenzen für die 9.
Kompanie
2. Dezember 1942.
„Wir werden morgen an eine andere Front versetzt“, erklärte Kompaniechef
Regner seinen Männern. „Packt eure Sachen. Morgen früh ist Abmarsch.“
Seine Kompanie war bedenklich zusammen geschossen worden. Die Gruppen hatten
höchstens noch 5 Mann.
In aller Frühe standen die
Soldaten abmarschbereit vor ihren Erdbunkern. Die Stiefel waren frisch
eingefettet und mit altem Zeitungspapier ausgestopft. Wollschlauch über den
Kopf, Handschuhe an und Sturmgepäck geschultert. Mit der Waffe in der Hand
verließen die Männer des III. Bataillons (9., 10., 11. und 12. Kompanie des
IR 278) ihren Unterschlupf.Es war
früher Morgen, dunkel und verdammt windig.
„Wir marschieren zur
Bahnstation“, erklärte Hoyer, ein 28-jähriger Oberleutnant der Reserve. Er
war vorübergehend als Bataillonskommandeur eingesetzt worden. Im zivilen
Leben war er Landwirt. „Dort holt uns ein Zug ab, um uns zum nächsten
Einsatzort zu bringen.“
Wo würde das sein? Und
überhaupt waren sie doch erst seit drei Tagen in Reserve!
Stumm formierten die Männer
ihre Marschaufstellung und folgten den Anführern durch die Dunkelheit. Der
Schnee auf dem breiten Nachschubweg leuchtete hell. Die Soldaten hüpften
auf den Kanten der Wagenfurchen und auf Grasbüscheln entlang, um nicht durch
die dünne Eishaut zu brechen, die die Pfützen in den Wagenfurchen
versiegelte. Der Schnee knirschte unter den Stiefeln und gelegentlich
zerbarst laut krachend das Eis. Der Körper dampfte und der Atem kondensierte
an der kalten Luft. Nach einer Stunde hellte sich der Himmel auf und gab den
Blick auf einen wunderschönen Winterwald frei. Eine große weiße Stille lag
über den hoch geschossenen Bäumen. Auf jedem Ast und auf jedem saftleeren
Kraut eine dicke Kante oder Haube aus Schnee.
Irgendwann lichtete sich der
Wald. Jetzt gab es hin und wieder üppige Tannen, auf deren dichten Gefieder
der Schnee dick lastete. Dann öffnete sich das Dickicht zu blanken
Schneeflächen, die die fruchtbaren Felder des Sommers abdichteten.
Endlich die ersten
Hinweisschilder in deutscher Sprache.Sie zeigten zu dem kleinen Bahnhof
Roshdestweno.
Hier waren sie vor zwei
Monaten angekommen. Jetzt fühlten sich die Männer alt und
verbraucht. Frierend standen sie am Bahnhof.
Irgendwann traf ein Zug ein.
Datenabgleich mit dem Lokomotivführer und rein in den eiskalten Waggon. Der Zug rollte in Richtung
Rshew. Dann bog er scharf nach Westen ab. 65 Kilometer weiter Endstation.
Stop. Alle aussteigen.
Olenino
Schon wieder war man nicht im
Ortszentrum angekommen, sondern am fernen Ortsrand. Von Deutschland war man
gewohnt, mit dem Zug im Herzen der Stadt zu landen, dort wo Kirche und
Bäckerei aneinander stoßen. In Russland war aber alles anders. Die Dörfer
und Städtchen lagen weit auseinander gezogen im Gelände und der Bahnhof war
meist außerhalb am Ortsrand. Also sahen die Soldaten von Olenino nichts
außer der Zugstation.
Dabei hatte sich Olenino zu
einem respektablen Ort gemausert. Denn er war gerade mal 44 Jahr alt. Vor
der Revolution lebte hier ein Großgrundbesitzer namens Olenin, der den Zaren
darum gebeten hatte, auf seinem Grundstück eine Zughaltestelle einzurichten
im Gegenzug dazu, dass die neue Bahnlinie von Riga nach Moskau durch sein
Gelände kreuzte. Der Zar war einverstanden. Man schrieb 1898. Olenin
siedelte Bauern und Handwerker an dieser Stelle an und ließ einen
galoppierenden Elch in das neue Ortswappen eintragen.
Von dieser Vorgeschichte
bekamen die Soldaten natürlich nichts mit. Ihre Aufmerksamkeit galt der
Logistik, denn ihr Einsatzort sollte weit weg von Olenino liegen.
Mannschaftswagen der Division Großdeutschland standen bereit und nahmen die
Alarmeinheiten auf. Jetzt ging die Fahrt weiter in Richtung Süden / Belyi.
Wie mit dem Lineal gezogen schnitt die Landstraße durch die Landschaft. So
weit das Auge reichte, eine große Schneedecke, die die Handarbeit der Bauern
versteckte. Gelegentlich die typischen Bauernkaten aus Holz oder ein
erstarrter Fluss. Es waren seichte Wasseradern, die in ihrer urigen Form
dahinschlingerten, nichts begradigt oder kanalisiert.
Mit den letzten Strahlen des
Tageslichts fuhren die Lastwagen in Gussewo ein. Es war ein kleines
Bauerndorf mit zum Teil kunstvoll dekorierten Holzhäusern. Der
Bataillonsführer stiefelte zum Gefechtsstand seines neuen Auftragsgebers,
der Division Großdeutschland. Fröstelnd warteten die Soldaten draußen vor
dem Haus.
Endlich kam Hoyer zurück.
„Alle Häuser besetzt“, meinte
er zum Chef der 9. Kompanie. „Die Mannschaft muss draußen übernachten.“
Die Soldaten wanderten in ein
Wäldchen westlich von Gussewo. Jeder suchte sich einen Platz zum Eingraben.
Sie schaufelten den Schnee zur Seite und hackten mit Spitzhacken den
gefrorenen Boden auf. Unterhalb der Frostgrenze stießen sie auf weiche Erde,
die sich leicht rausschaufeln ließ. Sie verbrachten die Nacht in diesen
Erdlöchern, eingerollt in der Zeltplane. Draußen fegte ein bissiger
Schneesturm mit tiefer Minustemperatur.
Wieso erfroren sie nicht? Solange der Lebenswille
und der Körper intakt waren, kämpfte man gegen den Tod. Bewegung, auch
nachts, war angesagt, um den Organismus mit Sauerstoff und Energie zu
versorgen.
Der erste Tag in Gussewo
3. Dezember 1942.
Wetter: Schneestürme, zunehmende Kälte, begrenzte Sicht.
Clemens entdeckte in den Büschen eine leere Metallkiste, in der vier
Granaten transportiert worden waren. Sie war gut 1 Meter hoch und 20 auf 20
cm breit. Er hieb mit der Spitzhacke einige Löcher in den unteren Rand und
füllte die Tonne mit Papier und trockenem Gras. Streichholz dran und schon
züngelte eine kleine Flamme durch das Papier. Sie erhielt genug Sauerstoff
durch die Löcher, um sich zu einem angenehmen Feuerchen auszubreiten. Nahezu
rauchlos verbrannte das Holz und strahlte traumhafte Wärme aus. Dicht
gedrängt standen die fünf Männer um die Kiste herum und wärmten sich die
Hände, während ihre Rücken der eisigen Luft ausgesetzt blieben.
Der
Tag verstrich unheimlich langsam und ungemütlich. Die Schneeflocken trieben
in eiskaltem Wind, so dass die Luft neblig getrübt blieb. Die Schneekörnchen
waren so hart gefrostet, dass sie scharf ins Gesicht pickten. Auf und ab
bewegen. Rumlungern.
Der Stabsoffizier der Division
Großdeutschland tippte abends in den Divisionsbericht: „Die harten Kämpfe
der letzten Tage, verbunden mit der außerordentlichen Kälte und dem starken
Schneetreiben haben die Truppe seelisch und moralisch stark mitgenommen."
Das Problem im Lutschessa-Tal
Das Tal schnitt von West nach
Ost durch die vertikale deutsche Front. Hier lag die Nahtstelle der 110. und
86. Infanterie-Division. Vor kurzem waren die Russen durch die Nahtstelle
gebrochen und tief ins deutsche Revier eingedrungen. Sie hatten vor, die
deutsche Nachschubstraße, die parallel hinter der Front verlief,
abzuschneiden. Dann wären die deutschen Divisionen weiter südlich
abgeschnitten und verloren.
Ganz großer Alarm!
Zügig hatte Walter Model – das
Gehirn hinter dem deutschen Bollwerk – seine Kampfzellen in die Wunde
geschickt. Für den ambulanten Einsatz bauten die Generale Einheiten
zusammen, mit denen sie flexibel am Krisenherd operierten. Nach dem Einsatz
würden sie die Kampfgruppe wieder auflösen.
Kampfgruppe Hoernlein sollte
die eingedellte Front im Lutschessa-Tal wieder raushämmern. Sie unterstand
dem Kommando der Division Großdeutschland unter General Hoernlein.
Sie bestand aus folgenden
Einheiten:
-
Einige Bataillone, Artillerie und Flak aus der Division
Großdeutschland.
-
Einige Bataillone plus
Artillerie, Panzerabwehrjäger und Pioniere aus der 86., 101., 253.
Infanterie-Divisionen.
-
Das III. Bataillon vom 278. Grenadier-Regiment aus der 95.
Infanterie-Division.
-
Artillerie, Flak und eine Kriegsgefangenen-Bau-Kompanie vom
XXIII. Armeekorps.
Der Plan
Ursprünglich hatte der
kritische Frontabschnitt bis runter zum Fluss Lutschessa gereicht. Jetzt
lagen die deutschen Stellungen weiter zurück. Hoernlein plante, die Delle in
drei Etappen wieder rauszuhämmern.
Etappe 1 - Angriff bei
Pustoscka-Wereista.
Etappe 2 - Riegelstellung
halten auf der Höhe bei Prudjanka
Etappe 3 - Front vorschieben
im Taillenwald bei Merkuschi
Es war nicht absehbar, wie
lange die Kampfgruppe dafür brauchen würden. Das hing vom Widerstand der
Russen ab. Eins war klar: Die Deutschen würden um jeden Meter Land kämpfen,
was viele Menschenleben und Kriegsmaterial kosten würde.
Etappe 1 - Angriff bei Pustoscka-Wereista
4. Dezember 1942
Kompaniechef Regner wärmte
sich im Haus des Hoernlein-Stabes auf. Ein Offizier wies ihn in die Lage
ein:
„Unsere Situation hier ist
vollkommen anders als bei Ihnen auf der Rshew-Seite. Wir haben keine
Schützengräben. Wir haben überhaupt keine klare Front. Alles ist in
Bewegung. In einem Dorf sitzen die Russen und im nächsten Dorf die
Deutschen.“
Er wandte sich der
militärischen Karte auf dem Schreibtisch zu.
„Wir befinden uns hier. Dort
sehen Sie eine Höhe eingezeichnet. Sie fällt in eine Senke ab, in der sich
Russen günstig verschanzt haben. Von vorne konnten wir sie nicht ausheben. -
Sie stellen sich einen Stoßtrupp von vier Gruppen zusammen und marschieren
um die Höhe herum. Dann erhalten Sie von hinten Einblick in die Senke und
können die Russen angreifen.“
Regner fühlte sich
unbehaglich.
Er kannte die Gegend nicht und hatte den Bewegungskrieg noch
nicht kennen gelernt. Er stiefelte mit dem Offizier raus ins Gelände. Mit
dem Fernglas sondierten sie die Landschaft.
Strategie des Angriffs.
Festlegen, wo
der Hauptverbandsplatz eingerichtet wird.
Regner war es mulmig zumute.
Es war sein erster persönlicher Angriff. Jetzt fühlte er sich wie die
Soldaten, denen er das Stoßtruppunternehmen „Wien“ aufs Auge gedrückt hatte.
Er wählte vier Gruppen aus, denen er das Unternehmen zutraute.
Ihre Stärke
war seine Sicherheit.
„Befehl zur Offensive!“
Die Männer packten ihr
Sturmgepäck und wanderten in den Versammlungsraum.
Vor ihnen ergoss sich eine
hügelige, fast baumlose Landschaft, überzogen mit Schnee.
„Wo liegt die Frontlinie?“
fragte ein Soldat.
„Es gibt keine Schützengräben.
Die Front ist in Bewegung und durchlässig. In einem Tal sitzen die Russen
und in einem anderen Tal sitzen unsere Leute.“
Er konnte nur das
nachplappern, was man ihm im Büro gesagt hatte. Er streckte seinen Arm zum
Horizont aus. Schneehügel und Täler.
„In dieser Senke liegen gut
geschützt die Russen.“
Konzentriert folgten die
Männer seiner Armbewegung.
„Die Division hatte von vorne
angegriffen, war aber nicht durchgekommen.
Wir sollen jetzt die Senke
umwandern und die Russen von hinten angreifen.“
Sein Arm kreiste in der Luft,
um den Weg anschaulich zu machen.
Wieso hatte Regner keine
Landkarte, auf der man sich orientieren konnte?
Die Soldaten wurden unruhig.
Was war das für eine ungenaue
Lagebeschreibung?
Das sollte eine
Angriffsplanung sein?
Wischi –Waschi?!
Die mangelnde Information
verbreitete unnötige Sorge und Spannung.
Man stand unter dem Eindruck,
schlecht vorbereitet zu sein und unpräzise zu handeln.
Die Männer fühlten
sich zu Befehlsempfängern und Trotteln degradiert.
Entsprechend unmotiviert
folgten sie ihrem Kompaniechef durch den Schnee.
Es war ihnen klar, dass hier
eine neue Kriegssituation herrschte. Der Begriff „Bewegungskrieg“ war
gefallen, aber was bedeutete er?
Die Spannung stand allen ins
Gesicht geschrieben.
Der Weg führte eine Talsenke
hinab.

Plötzlich tauchte am Horizont
ein Panzer auf. Mit aufgedrehter Geschwindigkeit raste er die Schneise hoch.
Auf Grund der Silhouette war
nicht zu erkennen, ob es ein russischer oder ein deutscher Panzer war.
„Sofort rechts den Hang hoch!“
brüllte der Kompaniechef.
Panisch kraxelten die Soldaten
die Steigung hoch und drückten sich in den Schnee. Wer auch immer im Panzer
saß, konnte die Männer in ihren dunklen Mänteln im weißen Schnee gar nicht
übersehen. Tarnung war unmöglich, weil die Schneedecke nicht dick genug war,
um sich einzugraben.
Die Männer pressten sich mit
aller Kraft tief in den Schnee.
Keuchend harrten sie ihres
Schicksals.
„Wenigsten kann uns der Panzer
nicht überrollen“, dachte Clemens. Denn der Hang war steil und der Panzer
würde umkippen.
„Aber mit Granaten könnte er
uns ruckzuck auslöschen“, war ihm bewusst.
Es waren furchtbare Sekunden.
Sie konnten nicht weglaufen,
abtauchen oder sich verstecken.
Wie Köder lagen sie auf dem
Präsentierteller.
Panisch starrten sie auf das
Kanonenrohr, ob es sich in ihre Richtung drehen würde.
Der Panzer kam das Tal hoch
gerauscht.
Ein deutsches Modell. Abwarten. Es könnte ein Beutestück sein
und mit Russen besetzt.
Aus den Augenwinkeln sah er,
wie sein Nachbar den Griff einer Tellermine fest in der Hand hielt. Offenbar
war er zu allem entschlossen. Wenn der Panzer tatsächlich den Hang
hochfahren würde, um sie platt zu walzen, dann würde er die Mine schnell
unter die Ketten werfen.
„Der wird seine Tellermine
niemals werfen können“, kombinierte Clemens. „Wenn es wirklich Russen im
deutschen Panzer sind, dann werden sie uns vom Tal aus mit Granaten
einregnen. Dann sind wir Hackfleisch.“
Atemlos und tief in den Schnee
geduckt beobachteten sie den Panzer.
Mit lautem Motorengeräusch
dröhnte er durch die Senke, an ihnen vorbei und verschwand jenseits des
Tals.
„Schwein gehabt!“
Ihnen allen stand die Spannung
in den Gesichtern geschrieben.
„Nichts wie weg hier. Den Kamm
rechts hoch!“
Hechelnd quälten sie sich den
Berg hoch. Nicht jeder trug seinen Helm aufgesetzt, weil er bei den
Minustemperaturen viel zu kalt war und den Schädel auskühlte. Das
Sturmgepäck mit Munition und Waffen wog schwer. Die MG-Schützen schleppten
zusätzlich Munitionskisten, Ständer und Gewehr. Der Körper dampfte in der
Kleidung, die Gesichter waren rot erhitzt.
Pause.
Orientierung in der
Landschaft.
„Wenn wir jetzt hier
weitermarschieren“, der Kompaniechef wies mit seinem Zeigefinger in die
Landschaft, „dann müssten wir hinter jenem Kamm auf die Russen stoßen. Also
weiter!“
„Ja und dann?“, dachte
Clemens. „Wo bleibt die Angriffsbesprechung!?“
Von hinten pirschten sie sich
an den Hang heran, hinter dem die Russen liegen sollten.Theoretisch würden sie die
Russen von hinten überfallen und das von erhöhter Position aus. Eigentlich
eine sehr vorteilhafte Strategie.
Als ungeordneter Haufen
schlichen die Deutschen den Hang hoch. Clemens lugte vorsichtig über
den Kamm.
Tatsächlich. Unten in einer Mulde saßen die
Russen mit den Rücken zu den Deutschen. Sie waren schwer bewaffnet und
aufmerksam. Einer rauchte. Stille. Sie konzentrierten ihre Blicke in die
andere Richtung, dorthin, wo die Deutsche Division zu vermuten war.
Leise rutschte Clemens zurück. Noch waren nicht alle Soldaten
hoch gekrochen.
Von einmal zerriss eine
schrille Stimme die Stille:
„Da sind die Russen!!!“
Entsetzt starrte Clemens rüber
zu dem Idioten. Es war Schmitt!
Wie ein Terminator entfachte
er sein Maschinenpistolenfeuer auf die Russen.
Ist der verrückt????!!!!!
Die Deutschen waren entdeckt,
noch bevor auch nur ein Mann seine Waffe in Anschlag bringen konnte.
Die Russen warfen sich
blitzschnell um und feuerten was sie geladen in den Händen hielten: Granaten
flogen über den Hügel, begleitet von MG-Salven. Das war kein russisches
Maschinengewehr, was da tackerte. Bei der schnellen Schussfolge konnte es
sich nur um ein deutsches MG 42 handeln. Eine Beutewaffe.
Es blieb der 9. Kompanie keine einzige Sekunde Zeit, ihre ursprünglich
überlegene Situation zu nutzen, nämlich leise den Angriff zu koordinieren,
die Waffen in Stellung zu bringen und zu attackieren.
Diese einmalige Situation
hätten die Männer zu ihren Gunsten entscheiden können, wenn nicht Schmitt in
seiner Panik die Situation vermasselt hätte.
Wie konnte er glauben, dass er alleine gegen eine gut bewaffnete Gruppe
gewinnen könnte?! Hätte er leise ein Maschinengewehr aufgebaut, dann wäre
das vielleicht möglich gewesen, aber mit seiner kraftlosen Maschinenpistole
konnte er doch gar nichts ausrichten!!!
Schmitt hatte die Position
verraten und die Russen feuerten wie die Weltmeister.
In ihrem Granat- und Schussfeuer blieben sie ohnmächtig im Schnee
eingedrückt. Es blieb keine Zeit zum Schießen, zumal man sich nicht über den
Kamm wagte.
Die Deutschen hatten verloren.
Der Schnee färbte sich rot.
Jeder dachte an sich selbst
zuerst und robbte sich aus der Schusslinie. Dem einen gelang es, dem anderen
nicht. Chaos.
Flucht war die einzige
Rettung.
Zwischen den Detonationen
stürzte man sich den Hang hinunter und warf sich schützend in den Schnee.
Die Eisenpartikel aus den
Granaten brausten flach über die Fläche und hieben in jedes Hindernis ein.
Ein Schlag traf Clemens am
Hinterkopf.
„Jetzt bin ich dran!“, schoss
es ihm schockartig durchs Hirn.
Weiter, unbedingt raus aus dem
Schussfeld! Er sprang auf und raste in die Talsenke.
Er tastete unter seinem Helm
den Hinterkopf ab. Blut rann den Nacken hinunter.
Sein Kopf pochte von der
Hetzjagd und die Kälte kühlte den Schmerz.
Nur wenige Männer waren dem
Gemetzel entkommen. Die meisten blieben im Schnee zurück. Diejenigen, die
noch auf zwei Beinen laufen konnten, hatten dennoch Schrammen abbekommen.
Geschockt stiefelte der kleine
Rest zur Talsenke, von wo sie gekommen waren. Sie folgten den Spuren des
Panzers.
„Diese Schlacht war so
unnötig!“ schimpfte Clemens. „Schmitt muss ja unbedingt
Kriegsheld werden!“
Die anderen nickten stumm.
Große Depression.



Verletzte am Hauptverbandsplatz, der in einem Stall
untergebracht ist. Alle drei Bilder stammen von der 260. ID, die bei Juchnow
im Frontbogen von Rshew liegt. Quelle: www.260id.de

Ausschnitt aus der Lagekarte der Division Großdeutschland am 1. Dezember
1942 bei Gussewo südlich von Olenin. Die schwarze Linie bezeichnet die
eingedellte deutsche Front. Die roten Pfeile markieren die Angriffsbewegung
der Russen. Ihre Einheiten sind identifiziert und ebenfalls eingetragen.

Der Frontbogen von Rshew am 24. Dezember
1942.
Der schwarze Pfeil links zeigt die Durchbruchstelle und die Position der
Kampfgruppe Hoernlein. Hier wurde ein Bataillon der 95. ID eingesetzt.
Die 95. Division selbst liegt gegenüber auf der anderen Seite des
Frontbogens kurz unter Rshew. Rshew liegt an der Kreuzung der
Eisenbahnlinien.
Siehe das Massenaufgebot der russischen Truppen, die auf die deutsche Front
einwirken, um den Durchbruch zur Eisenbahnlinie zu erreichen.
Foto oben
im Text: Deutscher
Panzer mit weißem Tarnanstrich in voller Fahrt im Schnee. Das Foto stammt
aus der 260. ID, die zeitgleich im Frontbogen von Rshew geparkt war.
www.260id.de
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